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Die Waldhaussiedlung – ehemalige Bewohner auf Spurensuche

Erstellt von Kurt Lautensack | | WaldhausRömhildSteinsburg

Die über 110-jährige Geschichte der Waldhaussiedlung war im März 2023 Thema der Frühjahrstagung der „Gemeinde der Steinsburgfreunde e.V.“, die zweigeteilt im Museum Schloss Glücksburg Römhild und am Waldhaus stattfand.

Römhild-Waldhaus – Für den Vereinsvorsitzenden Johannes Bäumert war es erfreulich, dass er ca. 50 interessierte Besucher begrüßen durfte. Denn wie seit Jahren gewohnt, sind bei allen Veranstaltungen nicht nur Mitglieder, sondern ist jeder Teilnehmer willkommen und durchaus erwünscht. Denn es ist auch Zweck der Vereinstätigkeit, jeden Interessierten an den unterschiedlichsten Aktivitäten oder an inhaltlichen Ergebnissen der Vereinsarbeit aktiv oder passiv teilhaben zu lassen. In der jüngsten Veranstaltung am vergangenen Wochenende stand die Waldhaussiedlung „Pierato“ im Sattel der Gleichberge im Mittelpunkt, die nach wie vor das geschichtliche Interesse weckt. „Viele Menschen, die einmal zu den Bewohnern zählten“, sagte Johannes Bäumert, „begaben oder begeben sich auf Spurensuche zur einstigen Villensiedlung“. Doch ihre Geschichte interessiert wohl ebenso die heutigen Bewohner wie auch viele Natur- und Heimatfreunde.

Für die Frühjahrstagung auf Spurensuche hatte sich auch Ortschronist Ralf-Rainer König aus Römhild begeben, der aber in erster Linie über die Ergebnisse früherer Bewohner referierte, die Einblicke in die Entstehung, in die Besiedlung und das gesellschaftliche Leben gaben. Zwar war der Ortschronist in der jüngeren Geschichte selbst einmal „Pierato“-Bewohner, wenn auch kein Zeitzeuge der früheren Geschichte bis zum Ende des II. Weltkrieges, aber doch kundig in der Geschichte und Geschichten der Siedlung. Er sprang ein für die vorgesehene Buchlesung des erkrankten Autors und Professor für Pädagogik Christian Callo aus seinem 2022 herausgegebenen Buches „Kulturjongleure- eine abenteuerliche Reise von Odessa nach Römhild“. Außerdem entstammen seine Kenntnisse aus Erzählungen und Niederschriften von Otto Graf, ehemaliger Besitzer vom Waldhof (heute Keltenhotel Waldhof), von Almuth von Zander, die bis 1959 in „Pierato“ lebte und diese 2011 besuchte (unveröffentlichte Schrift „Die Waldhauskolonie bei Römhild 1910 bis 1948) sowie von seinem Vater Herbert König.

Die Geschichte der Villensiedlung „Pierato“

„Was erinnert noch an die kleine Gesellschaft, die sich zwischen 1910 und 1934 am Waldhaus niederließ, an die Fremden aus Odessa, Charkow, Petersburg, Athen, Berlin Königsberg oder Weimar, die nachbarschaftliches Leben pflegten? Welche Spuren haben sie hinterlassen?“, diese Frage stellt Christian Callo in seinem Buch. Sein Großonkel Alexander Callo lebte von 1933 bis 1939 in der Siedlung. Almuth von Zander, die sehr umfangreich recherchierte, fragte sich ebenso: „Was treibt einen Menschen aus dem mediterranen Odessa über Berlin nach Römhild?“ und versuchte es aus ihrer Sicht bei ihrer Führung 2011 durch „Pierato“ selbst zu beantworten. Almut von Zander lebte seit ihrer Geburt im Jahr 1943 bis 1959 mit ihrer Familie in der Villa "Erlehof" (von Römhild kommend links die 2. Villa). Ihr Vater, Regierungsrat Botho von Zander sei damals Leiter des Kulturamtes Hildburghausen gewesen.

Gründer der Villenkolonie, die im Volksmund keineswegs abwertend wegen ihrer Bewohner „Russenkolonie“ genannt wurde (älteren Bürgern heute noch ein Begriff) waren Pierre und Erato Mavrogordato (kurz nur die „Mavros“ genannt). Es war ein russisches Ehepaar aus Berlin, aus Odessa am Schwarzen Meer stammend und mit griechischen Wurzeln. Zu ihnen gehörten befreundete wohlhabende russische Familien als die „Bewohner der ersten Stunde“ sowie weitere Familien oder Einzelpersonen aus den oben genannten Städten. Sie alle hatten russische, griechische, englische und deutsche Namen und Vorfahren. Kurz gesagt, sie waren Kosmopoliten, oder wie sie Callo bezeichnete, Kulturjongleure, die verwandtschaftliche Beziehungen, gemeinsame gesellschaftliche Herkunft und nationale Wurzeln einte. Als Bewohner nannten sie sich die Kolonisten und später auch „Pieraten“. Der Siedlungsname, heute noch an einem Eingangstor erhalten, war die Zusammenlegung der Vornamen Pierre und Erato. „Pierre war ein renommierter Archäologe und Kunsthändler, galt als Experte auf dem Gebiet der antiken Kunst und handelte mit einzigartigen und wertvollen Stücken. Seine Frau Erato war eine international bekannte Künstlerin“ erklärte Museumsleiterin Kerstin Schneider beim kleinen Rundgang durch die Ausstellung „ Antikensammlung“ und „Künstlerpuppen“. Dem Besuch der Ausstellung folgte ein Rundgang in der Waldhaussiedlung.

Im Jahr 1910 erwarben die wohlhabenden Mavros aus Berlin ein ca. 4 ha großes Grundstück am Fuße des Kleinen Gleichberges gegenüber dem damaligen Gast- und Logierhaus „Waldhaus Waidmannsruh“, heute Keltenhotel Waldhaus der Familie Olaf Hänisch. Ausgangspunkt für den Grundstückserwerb war die Bekanntschaft von Pierre Mavrogordato mit dem Steinsburgforscher Prof. Alfred Götze aus Berlin, durch den er ein starkes Interesse an der keltischen Geschichte entwickelte und ihn 1906 erstmals zum Waldhaus nach Römhild führte. Alfred Götze als Begründer des Steinsburgmuseums ließ 1914 die für ihn bezeichnende Villa „Keltenhof“ (aus Richtung Römhild 3. Haus links) bauen, die er selbst bewohnte. Bereits im Jahre 1911 wurde mit dem Bau des Hauptsitzes der Mavros, der Villa Steinsburg, den Gästehäusern „Waldruh“ und „Hartenburg“ sowie dem Gärtnerhaus mit Remise und Stall begonnen. Ihren Landschaftsgärtner hatten die Mavros eigens aus Berlin mitgebracht, der dann das ganze Jahr in Pierato lebte. Durch ihn ließen sie einen Park und einen großen Garten anlegen. 1913 wurde noch eine Chauffeurwohnung an das Gärtnerhaus angebaut. Denn die Mavros besaßen, was zu dieser Zeit außergewöhnlich gewesen sei, außer Pferden und Wagen auch zwei Autos. Das bestätigte Otto Graf, gelernter Kellner und Hotelier aus Linden, der zu diesem Zeitpunkt das Waldhaus bei einer Versteigerung erwarb, auch in seinen Memoiren. Er bezeichnete die Mavros als „unermesslich reich“ mit guten Kontakten zum Herzog von Sachsen-Meiningen.

Das Leben in der Kolonie

Da es zu jener Zeit bei wohlhabenden Familien durchaus üblich gewesen sei, dass man einen Landsitz hatte, wo man sich im Sommer aufhielt, sich mit Freunden traf, gemeinsam speiste, feierte und das ländliche Leben genoss, sei die Villenkolonie als Landsitz konzipiert gewesen, erklärte Ralf-Rainer König. Was mit von Bedeutung gewesen sei, darauf wiesen Johannes Bäumert und König hin, sei die damalige Infrastruktur gewesen, denn es gab eine Postkutschen-Linie Hildburghausen-Römhild-Königshofen und eine Eisenbahnlinie Römhild–Rentwertshausen (seit 1893) mit Anbindung nach Meiningen bzw. Würzburg. Was für die Herrschaften noch wichtig gewesen sei, das war natürlich das Gast- und Logierhaus.

Zwar hatte jede Einrichtung für sich eine eigene Geschichte, erklärte König, trotzdem bestand eine enge Verbindung zwischen Pierato, dem Waldhaus und dem 1929 erbauten Museum. Im Gasthaus traf man sich am Stammtisch zum Fachsimpeln über die Archäologie zum Zigarrenrauchen und Feiern. Aber auch in der Villenkolonie fühlte man sich eng verbunden. So habe es zum guten Stil im Umgang miteinander gehört, dass jeder Besucher bei der Ankunft und beim Abschied bei allen Nachbarn eine Visite machte. Es seien Kindergeburtstage ausgerichtet worden, an denen alle Kinder der Kolonie mit ihren Müttern teilgenommen hätten. Vor allem im Sommer sei in der Kolonie ordentlich was los gewesen.

Der Vollständigkeit halber seien aber noch die anderen Villen erwähnt. Alexander Callo, (1905-1975), der Großonkel von Christian Callo aus Odessa und Neffe von Erato, und seine Frau Maria (1908-1999) aus Athen kaufen 1933 ein Grundstück neben dem Erlehof und bauen die Villa „Sonneck“ (1. Haus von Römhild, links), wo sie bis 1939 wohnen. Auf der gegenüberliegenden Seite (Museumsseite) erwarb ein gewisser Rittmeister Michael von Prissicka aus Odessa ein Waldgrundstück und baute 1913 eine Villa als Sommersitz, die ab 1920 vermietet wurde und ab 1935 „Haus Hubertus“ hieß, wohl deshalb, weil es einem Jagdpächter aus Nürnberg gehörte. Schließlich baut Waldemar Mehlhose, ein Ingenieur und Privatier aus Charkow, 1934 auf der gleichen Seite die Villa „Waldwinkel“ wo er mit seiner Haushälterin bis 1950 lebte.

Zwei Mal gerät Mavrogordato ins Fadenkreuz eifriger national Gesinnten. 1914 gerät er in den Verdacht, ein russischer Spion zu sein, wird aber durch Fürsprache einflussreicher Leute, unter anderem auch durch Alfred Götze, rehabilitiert. 1938 wird gegen ihn wegen Kontakten zu Juden und einer Reise nach Prag ermittelt. Es erfolgte ein Gespräch mit dem damaligen Römhilder Bürgermeister Alfred Schmidt, bekannt als Fürsprecher zur Errichtung des „Arbeitserziehungslager Römhild“. Doch Mavrogordato übersteht auch diese Anfeindungen.

Das Leben in der Villensiedlung „Pierato“ war in Bewegung geraten. Die Mavros lebten bis zu ihrem Tod in der Villa Steinsburg, ihrem Altersruhesitz. Am 29.03.1948 verstirbt Pierre Mavrogordato und folgt damit seiner Frau Erato, die wenige Minuten vorher ihr Leben beendet hatte, getreu einem gegenseitigen Versprechen. Sie sind Ehrenbürger der Stadt und in Römhild begraben. Mit ihnen ging auch die Zeit der Kolonie zu Ende. Eine neue Zeit mit gesellschaftlichen Umwälzungen brach an und Steinsburg erwarb und versucht diese in ihrem Aussehen zu erhalten. Sie kann von Familien oder kleinen Gruppen tageweise gemietet werden.

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